Nachrichtenjournalismus neu denken – Marco Bertolaso vom Deutschlandfunk

28 MÄRZ 2022 | 19.30 UHR | IN PRÄSENZ IM FRANKFURTER PRESSECLUB UND ONLINE

ZU GAST
Zu Gast: Marco Bertolaso (Nachrichtenchef des Deutschlandfunk)

MODERATION
Karsten Frerichs (FPC Vorstandsmitglied)

Zur Not die Nachrichten rappen

Marco Bertolaso plädiert für einen Wandel im Journalismus

Als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe hat Marco Bertolaso es definiert, dass die Bürger mit fundierten und seriösen Nachrichten gute versorgt werden. Ähnlich wie das bei dem Thema Ernährung geschehe, müsste die Gesellschaft umdenken, die Bedeutung eines hochwertigen Nachrichtenwesens für die Demokratie erkennen und sich in der Auswahl der Informationsquellen entsprechend verhalten. Bertolaso, Leiter der Nachrichtenredaktion des Deutschlandfunks,  lehnte es jedoch auf dem Clubabend im Palais Livingston ab, den Bürgerinnen und Bürgern vorzuschreiben, welche Medien sie nutzen sollten. Ihm ging es um einen allgemeinen Bewusstwerdungsprozess. Mit Blick auf Corona und die Ukraine meinte er, die Lage sei zu kritisch, als dass man sich nur über Social Media informieren könne. Allerdings sah Bertolaso auch etliche Aufgaben für die Journalistinnen und Journalisten, um Nachrichten wieder aufzuwerten. Die Redakteure müssten sich von der überhöhten Aussage befreien, sie würden objektiv berichten. Für viele klinge dies ähnlich wie der Anspruch der katholischen Kirche auf die Unfehlbarkeit des Papstes. Angemessen sei dagegen der Anspruch der Medien, der Wahrheit so nahe wie möglich zu kommen. Da diese Aussage das Eingeständnis von möglichen Fehlern beinhalte, sei damit auch die Fähigkeit zur Korrektur verbunden. Bertolaso mahnte zudem die Notwendigkeit des Dialogs mit den Mediennutzern an. Unter anderem müssten dafür die Nachrichten dort vermittelt werden, wo sich die Leute im Netz bewegten. Im Zweifelsfall würde er sogar Neuigkeiten rappen, meinte der Gast. Allerdings müsse der Journalismus auch bei jugendaffinen Vermittlungsformen stets auf die Qualität achten. In der Form könne man nachgeben bei den Inhalten jedoch nicht. Als ein weiteres Beispiel für die Notwendigkeit der Verbesserung führte er die Berichterstattung über die Arbeit des Bundestages an. Zu oft begnüge sie sich mit der Darstellung der Ergebnisse und beleuchte aber nicht den Entstehungsprozess und die Hintergründe von Entscheidungen und die „Blackbox“ des Lobbyismus. Moderator Karsten Frerichs wollte wissen, was denn derzeit beim Journalismus schieflaufe. Nach Auffassung von Bertolaso ist die Nachrichtenvermittlung in den vergangenen Jahrzehnten erheblich unter Druck gekommen. Die wirtschaftliche Lage der Medien habe sich insgesamt deutlich verschlechtert. Zwar stehe der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland noch so gut wie in keinem anderen europäischen Land da, aber auch hier gebe es Angriffe auf die Gebührenfinanzierung. Schließlich bedienten die Social Media durch die von Algorithmen gesteuerten Nachrichten die Nutzer mit den gewünschten Nachrichten. Dadurch werde die Klickquote und nicht die Relevanz zum Kriterium der Auswahl. In der Folge führe das zu Meinungsblasen, die für andere Nachrichten schwer durchlässig seien. Schließlich hätten die zahlreichen Pressestellen und Marketingabteilungen von Institutionen und Unternehmen inzwischen gut gelernt, ihren Meldungen den Anschein von Aktualität und Relevanz zu geben und könnten damit alle Kanäle bespielen. Für den Laien sei es oft nicht einfach, zwischen einer interessengebundenen PR-Meldung und einer geprüften Meldung eines Mediums zu unterscheiden. Während die Zahl der Journalisten abnehmen, nehme die Zahl von gut ausgebildeten PR-Leuten gegenüber. Der Nachrichtenchef des Deutschlandfunks hat an diesem Abend eine Reihe von Denkanstößen gegeben, die sicherlich auch im FPC noch weiter diskutiert werden.

In Kooperation mit

Marco Bertolaso
Foto: Bettina Fürst-Fastré
Karsten Frerichs
© Barbara Walzer

Aufzeichnung der Veranstaltung auf unserem YouTube-Kanal

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