Wahlen in der Türkei: Langjähriger FAZ-Korrespondent Rainer Hermann zu Gast

23 MAI | 19.30 UHR | IN PRÄSENZ IM FRANKFURTER PRESSECLUB, ULMENSTR. 20, 60325 FRANKFURT

ZU GAST
Rainer Hermann (Diplom-Volkswirt, promovierter Islamwissenschaftler und langjähriger Korrespondent für die F.A.Z.)

MODERATION
Carsten Knop (FPC-Vizepräsident)

Schwere Zeiten für die Opposition

Ein sehr dichter Abend mit dem Türkei-Kenner Rainer Hermann

Die Wahlen in der Türkei waren nach Auffassung von dem langjährigen FAZ-Korrespondenten Rainer Hermann weder frei noch fair. Zwar habe die Opposition noch nie eine solche Chance gehabt, Erdogan abzulösen, aber dieser habe seine Position mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln verteidigt. So hätten die Medien im Wahlkampf eine große Rolle gespielt, in denen die Opposition lediglich ein Prozent der Sendezeit erhalten habe. Zudem befänden sich zahlreiche oppositionelle Funktionäre in Haft und durch das Verweigern von Sälen habe es faktisch auch ein Versammlungsverbot gegeben. Viele Bürger seien nach Darstellung von Hermann durch bürokratische Vorschriften an der Wahlbeteiligung gehindert worden. Wählen dürfen die Bürger nur in ihren Heimatgemeinden. Durch das Erdbeben seien aber etwa 3,5 Millionen Menschen aus ihren Dörfern in andere Gegenden gezogen. Dort hätten sie sich zwar registrieren lassen können, dafür gab es aber wiederum nur drei Tage Zeit. Kritisch bewertete der FPC-Gast auch den Zeitpunkt des Semesterbeginns vor den Wahlen. Die Studenten hätten wieder in die Universitätsstädte reisen müssen und daher nicht in ihren Herkunftsorten wählen können. Erhebliche Zweifel formulierte Hermann an der Einschätzung der OECD-Wahlkommission, die Abstimmung sei im Großen und Ganzen korrekt verlaufen. Von mehreren Gesprächspartnern, darunter auch ehemalige AKP-Mitglieder, habe er detaillierte Schilderungen bekommen, wie die Stimmenzahlen gefälscht worden sind. Eine Überraschung bei der Stichwahl schloss Hermann aus. Von Moderator Carsten Knop nach der Zukunft gefragt meinte er, die geballten Fäuste blieben in der Tasche. Obrigkeitshöriges Denken sei sehr verbreitet und die Türken gingen „sehr langsam“ auf die Straße. Für die Opposition prognostizierte er schwere Zeiten und für das Kurdengebiet befürchtete er eine neue Spirale der Gewalt. Einen Hoffnungsschimmer sah Hermann in den jungen Wählern vor allem in den Großstädten, die zu achtzig Prozent gegen Erdogan gestimmt hätten. Allerdings wolle auch jeder Zweite von ihnen ins Ausland auswandern, wenn er die Möglichkeit dazu hätte. Der Türkei-Kenner erläuterte aber auch die Gründe, warum Erdogan bei einem großen Teil der Bevölkerung nach wie vor beliebt ist. Er stehe für die Möglichkeit aus bescheidenen Verhältnissen in Anatolien aufzusteigen und er habe in dem Land durch viele Infrastrukturprojekte einen großen Modernisierungsschub angestoßen. Schließlich habe er den Türken auch einen gewissen Nationalstolz gegeben, da er der erste Präsident sei, der sich auf der internationalen Bühne in Augenhöhe mit den bedeutenden Staatsmännern treffe. Kritisch schätzte Hermann die wirtschaftliche Lage des Landes ein. Die Lira sei in der letzten Zeit künstlich gestützt worden, was auf Dauer nicht funktioniere. Im Falle eines wirtschaftlichen Zusammenbruchs des Landes werde aber der Internationale Währungsfonds helfend einschreiten. In dem sehr dichten Gespräch zwischen Carsten Knop und Rainer Hermann wurden noch zahlreiche weitere Schlüsselthemen behandelt, wie die Rolle des Militärs, der Werdegang und der Wandel von Erdogan und die internationale Politik. Die Gäste waren am Ende des Abends von dem umfassenden Wissen und der differenzierten Darstellung von Rainer Hermann sehr angetan.

Aufzeichnung der Veranstaltung auf unserem YouTube-Kanal

Rainer Hermann
Foto © Helmut Fricke
Carsten Knop
Foto © Barbara Walzer

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